Veröffentlicht am 25.07.2023
Flexible Arbeitsstrukturen bei Simmons & Simmons
Sybille, du hast während deines Studiums unter anderem bei Siemens gearbeitet und warst dort auch als Diplomandin. Das sah nach einer Karriere in der Industrie aus, doch dann hast du 2010 in der HR-Abteilung von Bird & Bird angefangen. Warum hast du dich für eine Karriere bei einer Großkanzlei entschieden?
Eine gezielte Entscheidung war es damals nicht, sondern vielmehr das Zusammenkommen verschiedener Dinge. So wie es oftmals im Leben ist. Die Liebe hatte mich nach Düsseldorf verschlagen, so dass ich mich hier neu orientieren musste. Die Suche war damals sehr schwierig, da die Wirtschaft nach der Bankenkrise noch instabil war und es in Teilen auch Einstellungsstopps gab. Darüber hinaus gab es einen mit heute nicht vergleichbaren Bewerbermarkt und HR Positionen waren äußerst rar gesät.
Über einen Kontakt habe ich dann von einer HR-Vakanz in einer Kanzlei gehört. Kanzlei? Ich hatte ein riesiges Fragezeichen auf meiner Stirn. Wie ticken Rechtsanwält*innen und was macht man hier im HR? Am Ende war das Vorstellungsgespräch sehr spannend und das Fragezeichen hat sich in ein Ausrufezeichen verwandelt. Hier kannst du wahrlich mitgestalten, die Leidenschaft für HR einbringen und dich und die Sache entwickeln. Letzteres hat sich dann mehr als bewahrheitet, da ich über die Jahre den HR Legal Bereich und das Team aufbauen konnte.
Fast zwölf Jahre später dann der nächste große Schritt: Seit Ende 2021 bist du Head of HR Germany bei Simmons & Simmons in Düsseldorf. Wie kam es dazu und wie lief der Wechsel?
Ähnlich wie damals kommt vieles ungeplant. Ich war 2021 auch gar nicht auf der Suche. Meinen damaligen Job habe ich aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit quasi im Schlaf gemacht. Einerseits war das für die Lebensphase mit zwei kleinen Kindern bequem, aber bequem ist nicht immer erfüllend und am Ende wahrscheinlich genau der Grund, dass ich schließlich etwas Neues "Unbequemeres" angefangen habe und in einem neuen Umfeld wieder etwas bewegen wollte.
Über die vormalige Stelleninhaberin habe ich von der sich eröffnenden Vakanz erfahren. Ich war zwar ehrlich gesagt anfangs nicht an einem Wechsel interessiert, habe einem Kennenlerngespräch in der Kanzlei dann aber zugestimmt. Das Gespräch war klasse. Darauf folgte noch das ein oder andere Folgegespräch, da ich mir wahrlich nicht sicher war, ob ich diesen Wechsel in der seinerzeitigen Lebensphase stemmen könnte. Das Ganze dann auch in Teilzeit - bei einer 5-Tage-Woche mit 30h.
Am Ende hat mich mein jetziger Chef, Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, überzeugt und vor allem ermutigt, diesen Wechsel einzugehen. Persönlich hat er mir meinen Anstellungsvertrag nach Hause vorbeigebracht. In Turnschuhen kam Hans-Hermann durch die Tür und befand sich in einem recht chaotischen Flurbereich mit vielen Koffern wieder, da wir am nächsten Tag in den Urlaub geflogen sind. "Ich bin Arbeitsrechtler - wenn es sich in Italien nicht richtig anfühlt, kannst du immer noch kündigen!" Das fand ich so lässig, zack war meine Unterschrift auf dem Vertrag. Und das Schöne an der Sache: genau diese Art zieht sich durch. Bei Simmons sind wir menschlich und wir sind authentisch. Jeder kann bei Simmons so sein wie er ist und jeder hat hier eine Stimme.
Welche Schwerpunkte sind dir am wichtigsten in deiner Arbeit? Wo setzt du Akzente?
Mein Schwerpunkt in den letzten 18 Monaten war, das HR-Team in Deutschland neu aufzubauen. Mir ist es wichtig, dass wir ein starkes kollegiales Team sind, vertrauensvoll und selbstbestimmt miteinander arbeiten und alle füreinander und über den Tellerrand hinaus mitdenken. Im Rahmen der Einführung eines neuen globalen HR Tools arbeiten wir intensiv mit unseren internationalen Kollegen gemeinsam an den Prozessen, damit wir uns kontinuierlich verbessern. Das Spannende ist, dass diese Themen die ganze Kanzlei global betreffen, sowohl Mitarbeitende als auch Arbeitsabläufe.
Ganz wichtig ist auch der Dialog mit den Kollegen, sei es über globale Mitarbeiterbefragungen, interne Purpose Debatten, Leadership Sessions, pilotierte Team Workshops, Unterstützung von Netzwerken für derzeitige und ehemalige Mitarbeiter und die neu ins Leben gerufene People Group. Klasse fand ich auch, dass die Kanzlei mir eine Planstelle für eine Kollegin genehmigt hat, die sich gezielt um Diversität und Inklusion kümmert. Das fand ich gerade für Deutschland schon sehr progressiv.
Es läuft wahnsinnig viel und wie ich damals im Kennenlerngespräch antwortete: ich mache HR mit Leidenschaft und ich will Teil vom Ganzen sein, etwas bewegen, kreieren. Genau das machen wir. Nicht immer die großen Sprünge, aber jeden Tag ein bisschen mehr. Manchmal ist es dann auch mal zu viel - da bin ich für mein Team da und habe eine starke Partnerschaft im Rücken, die dann auch den Druck rausnimmt bzw. mitträgt. Auch das schätze ich sehr bei Simmons.
Die Branche ist anspruchsvoll aber wir sehen uns als Einheit, auch wenn es mal Reibung gibt, denn die gehört dazu. Wichtig ist, dass wir als HR nicht auf dem Rücksitz Platz nehmen, sondern Berater auf Augenhöhe sind. Als Head of HR bin ich auch Teil des Management Teams und ich verstehe mich nicht als Ja-Sager, sondern als Impulsgeber und stehe vor allem als Sparringspartner zur Seite. Das erfüllt mich sehr, zumal ich hier auch meine Coachingsausbildung einfließen lassen kann. HR gestaltet mit und entsprechend bildet sich mein Team auch weiter. So konnten zwei Kolleginnen kürzlich z.B. eine Woche vor Ort in London verbringen, um sich zu vernetzen und gemeinsam mit den Kollegen vor Ort an einem Projekt zu arbeiten. Großartig und zielführend.
Du füllst deine Rolle als leitende Mitarbeiterin in Teilzeit aus. Wie organisierst du dich und deine Arbeit? Welche Voraussetzungen braucht es, damit Führung in Teilzeit funktioniert?
Voraussetzung und unverzichtbar ist das Empowerment des Managements und von der Partnerschaft. Simmons hat mich bewusst in Teilzeit eingestellt - der Anspruch ist hoch, aber ständige Erreichbarkeit ist nicht der Anspruch. Aus meiner Sicht bedarf es an langjähriger Berufs- und vor allem eine gewisse Lebenserfahrung, so dass man mit Ruhe und Sicherheit an die Sachen herangeht, priorisiert und manches auch nicht macht bzw. bewusst delegiert. Führung in Teilzeit ist ein großer Spagat und Führung in Teilzeit geht nur mit einem starken Team, die ähnlich flexibel und selbstbestimmt in der Lage sind, sich zu managen.
Auch spielen effiziente Prozesse eine große Rolle. Man spart Zeit und kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. In einer immer schneller lebenden Welt sollte man vor allem dem Thema Kommunikation ausreichend Zeit einräumen. Oftmals klebt man stark am Tagesgeschäft. Eine klare Kommunikationsstruktur im Team hilft, sich klar abzugrenzen, um in Balance zu bleiben und die wichtigen Themen mit entsprechender Aufmerksamkeit anzugehen. Erst kürzlich haben wir hierzu einen Team Workshop gemacht – absolut sinnvoll investierte Zeit, die uns nach vorne bringt.
Gibt es „dein“ Führungsmodell auch in anderen Bereichen von Simmons & Simmons?
„Mein“ Führungsmodell gibt es bei Simmons & Simmons zwar nicht im großen Stil, aber ansatzweise in globalen Schlüsselpositionen wie z.B. Julian Taylor als Senior Partner oder Sophia AdamsBhatti als Head of Purpose and Impact. Als weiteres Beispiel kann ich anführen, dass meine Kollegin, Head of Marketing & BD Germany, im Herbst auf eine 4-Tage-Woche wechseln wird.
Flexible Arbeitsmodelle sind ein Thema für viele Arbeitgeber. Wie geht Simmons & Simmons damit um? Welche Möglichkeiten gibt es für die Rechtsanwalt*innen– und wie werden sie „gelebt“?
Wir arbeiten außerordentlich flexibel und bieten individuelle Lösungen für alle Mitarbeiter an. Die Beweggründe unserer Teilzeit-Mitarbeiter sind ganz unterschiedlich. Neben der Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen gibt es weitere private Gründe, sich für eine Teilzeit zu entscheiden. Ob Voll- oder Teilzeit: Flexibilität steht aus meiner Sicht ganz oben und da spielt das Angebot von Home- Office voll positiv rein. Sabbaticals und Remote Work außerhalb von Deutschland runden unser Angebot ab. So kann man bis zu 40 Tage außerhalb von Deutschland tätig sein. Eine großartige Sache, die aber auch alle fordert. Denn flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten erfordert Verantwortung über den eigenen Schreibtisch hinaus. So bieten wir unsere Leadership Trainings zukünftig auch für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung an.
Was tut die Kanzlei noch, um Mitarbeitende zu binden? Dabei geht es immer auch um Werte und Kultur, oder?
Es geht vor allem um Werte und Kultur. Wir sind wie eine bunte Tüte. Eine Mischung verschiedener Persönlichkeiten. Jeder hat hier eine Stimme und kann sich im Rahmen der verschiedenen lokalen und globalen Netzwerke einbringen. Betonung liegt hierbei auch auf global, da wir alle sehr international eng zusammen arbeiten.
Work-Life-Balance, Flexibilität etc.: Wie siehst du deine Branche und natürlich auch deinen Arbeitgeber insgesamt bei diesen Themen aufgestellt? Welche Entwicklungen zeichnen sich ab beziehungsweise: Welche Entwicklungen sind nötig?
Wir haben eine absolut moderate Stundenvorgabe von 1600h. Wir sind kein Sweat Shop und sind vor allem sehr flexibel unterwegs. Home-Office ist fester Bestandteil. Je nach Lebenslage arbeiten die Mitarbeiter auch überwiegend remote. Das funktioniert sehr gut. Grundsätzlich finde ich die Debatte um die Work Life Balance teilweise zu kurzsichtig und irreführend, weil sie suggeriert "Leben" sei nur das Private. Die meisten Leute hier lieben wie ich ihren Job und sehen ihn als erfüllend an. Aber; wo die Maus keinen Faden abbeißt: Beratungsbranche bleibt Beratungsbranche, so dass persönliche Flexibilität unerlässlich ist. Ich habe nicht die Stechuhr im Kopf, gleichzeitig weiß ich aber, dass mein Chef an fristgerechten Resultaten interessiert ist und nicht an Kernarbeitszeiten. Teilzeit bedeutet auch, nicht erreichbar zu ein. Wir haben einige Mitarbeiter in Teilzeit, die ihre Kinder nachmittags betreuten; ältere Angehörige pflegen oder je nach Lebenslage einfach nicht Vollzeit arbeiten können. Wenn die Hütte aber brennt, muss man beidseitig flexibel sein. Das sehe ich allerdings auch nicht als singuläres Kanzleithema, sondern sollte als Grundsatz für alle in unserer Gesellschaft gelten.
Bei Simmons weiß ich sehr zu schätzen, dass interne Meetings auf den Vormittag gelegt werden, damit Teilzeitmitarbeitende keine extra Logistik betreiben müssen. Und wenn es nicht anders geht, dann organisiert man sich halt mal so, dass man zur Not mit Kind virtuell am Meeting teilnimmt. Ein Lob an dieser Stelle an die Errungenschaft der heutigen Zeit, in der virtuelle Besprechungen zum Standard gehören. Das macht viel möglich und das Arbeiten mit Kindern war in dieser Hinsicht noch nie so "bequem". Bequemer sollte es zukünftig aber unbedingt werden, wenn man sich die Infrastruktur Kita /Schule und OGS anschaut. Hier ist Deutschland nicht gut aufgestellt. Mit einer Vorlaufzeit von 3 Wochen haben wir z.B. erst kürzlich die Information erhalten, dass die Betreuungszeit temporär nur bis 14:30 Uhr möglich ist. Da ist in jedem Falle der Staat gefordert, eine bessere Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
Grundsätzlich täten wir gut daran, im Narrativ der Medien, dass wir über Arbeit mit Freude und Leidenschaft sprechen und nicht an stetiger Selbstoptimierung basteln. Arbeit ist nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Mit Freude bei der Sache und dabei achtsam sein sowie seine Grenzen kennen und diese auch klar kommunizieren, ist für mich eine entscheidende Basis für Work-Life-Balance, so dass diese Themen auch in unsere Mental Health Sessions und Team-Coachings einfließen.
Generell aus deiner Sicht als Personalerin: Was würdest du jungen Jurist*innen für ihren Karrierestart als Tipps geben?
Viel sehen, viel mitmachen, viel entdecken und ausprobieren und dabei auch Fehler machen und keine Angst vorm Scheitern zu haben. Und: Nicht an Schwächen aufhängen, sondern auf die Stärken fokussieren. Was interessiert mich, was geht mir gut von der Hand? Welches Arbeitsumfeld liegt mir (Behörde, Unternehmen, kleine Boutique, internationale Großkanzlei, großes Team, kleines Team), welcher Führungsstil passt zu mir und mit dem Erfahrungsschatz dann offen durchs Leben gehen. Vor allem aber authentisch bleiben und das machen, was einem Spaß macht. Man kann einiges planen, aber vieles kommt oftmals ganz anders.
Verstand ist gut, mit Verstand und Herz ist es noch besser und wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist, dann gehen die Dinge leichter. Vor allem ist es hilfreich, sein eigenes Netzwerk bereits früh aufzubauen und sich mit verschiedenen Menschen auszutauschen. Dies hat mir damals geholfen und diese Möglichkeit bieten auch wir jungen Nachwuchsjuristen an. Bei Interesse an einem unverbindlichen Kennenlernen stehe ich gerne als Kontakt zur Verfügung. Der Austausch mit jungen Menschen macht mir viel Freude – Tipps daher gerne auf persönlicher Ebene. :-)
Und was rätst du dir selbst? Oder anders: Was sind deine nächsten Ziele?
Wir haben eine großartige neue Health Kooperation mit Gympass, die ich für mich nutzen möchte. Da werde selbst ich am Niederrhein fündig. Auch möchte ich mich zukünftig pro bono im Bildungsbereich der OGS engagieren. Unsere Tochter kommt dieses Jahr in die Schule und bestimmt gibt es Möglichkeiten, sich dort einzubringen. Wenig hilfreich ist ja, immer nur zu nörgeln, dann aber selber nichts beizutragen. Mit dem Schulstart müssen wir uns in jedem Falle noch einmal neu in der Familie sortieren und da kommt mir unsere flexible Arbeitsstruktur zugute.
Abschließend bedanke ich mich für die Möglichkeit dieses Interviews. Das Formulieren war mir eine Freude und auch zukünftig möchte ich solche Gelegenheiten nutzen, weiterhin frei denkend meine Gedanken zu formulieren und dies nicht über KI Textgeneratoren laufen zu lassen.
Sybille, vielen Dank für das Interview!