Veröffentlicht am 22.07.2025
Interview mit Ole Lueg: Promotion, Kanzleiarbeit und Privatleben - das geht!

1. Ole, du hast im November 2024 deine Promotion abgeschlossen – herzlichen Glückwunsch! Dein Thema lag im Bereich des Familienrechts, genauer gesagt im Abstammungsrecht. Kannst du uns kurz erzählen, worum es in deiner Arbeit ging und was dich daran besonders interessiert hat? Was waren besondere Herausforderungen, die auf dich zukamen?
Vielen herzlichen Dank für die Glückwünsche! Meine Dissertation befasst sich mit einer Reform des geltenden Abstammungsrechts, das in den §§ 1591 ff. BGB geregelt ist. Es blieb seit dem Jahr 1998 nahezu unverändert und wird modernen Formen des familialen Zusammenlebens längst nicht mehr gerecht. Festgeschrieben wird etwa eine Verschiedengeschlechtlichkeit der Elternteile, die Elternschaft wird auf klassische Geschlechterrollen („Frau“ und „Mann“) limitiert und es können nicht mehr als zwei Personen rechtlich Verantwortung für ein Kind übernehmen.
In Deutschland immer häufiger gelebten Mit-Mutterschaften, Elternschaften trans- und intergeschlechtlicher Personen, multiplen Elternschaften mit mehr als zwei Elternteilen oder Wunschfamilien, die durch die Inanspruchnahme einer Leihmutter zustande kamen, wird damit in keiner Weise adäquat entsprochen. Aus diesem Grund wird auch eine grundlegende Überarbeitung der §§ 1591 ff. BGB politisch und gesellschaftlich sehr intensiv diskutiert.
Ich schlage in meiner Arbeit vor, das Abstammungsrecht aus der Perspektive des Kindes heraus „neu zu denken“ und das Kindeswohl in den Vordergrund eines modernen „Rechts der Eltern-Kind-Zuordnung“ de lege ferenda zu stellen. Was dem Wohl des Kindes dient, kann unter Rückgriff auf entwicklungspsychologische und soziologische Erkenntnisse im Einzelfall ermittelt werden. Es stellt damit einen objektiven und der Empirie zugänglichen Ausgangspunkt dar.
Eine bedeutende Herausforderung, die beim Verfassen meiner Arbeit immer wieder auf mich zukam, war die Aktualität des Themas! Die Reform des Abstammungsrechts war auch der Ampel-Regierung ein sehr zentrales Anliegen. So wurden im Januar 2024 etwa Eckpunkte zu einer Reform bekannt, welche ich in meiner nahezu fertiggestellten Arbeit noch berücksichtigt habe. Kurz vor der endgültigen Abgabe meiner Doktorarbeit im Mai 2025 wurde zudem ein hochrelevantes Urteil des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht, in dem es eine bedeutende Regelung des Vaterschaftsanfechtungsrechts (den § 1600 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 BGB) für verfassungswidrig erklärte und dem Grunde nach den Weg für Mehrelternschaften im deutschen Recht ebnete. Meinen Zeitplan konnte ich letztlich aber gut einhalten – insbesondere auch durch die fortbestehende Freude an der familienrechtlichen Forschung, welche es mir erlaubte, die ein oder andere „Überstunde“ in den Tag einzubauen.
2. Parallel zu deiner Promotion hast du bei Linklaters im Bereich Employment gearbeitet. Wie hast du es geschafft, beides unter einen Hut zu bekommen?
Besonders möchte ich die tolle thematische Abwechselung zwischen dem Arbeitsrecht und dem Familienrecht hervorheben! Ich habe im ersten Promotionsjahr immer von Montag bis Mittwoch bei Linklaters gearbeitet und weitere drei bis vier Tage in der Woche an meiner Doktorarbeit geschrieben. Nach den Arbeitstagen bei Linklaters habe ich mich stets auf die eigene Forschung gefreut und nach einer intensiveren Phase des Schreibens auf die Zusammenarbeit mit meinen Kolleg*innen im Employment-Team. Die kleineren Zäsuren haben mich auch nicht inhaltlich von meinen Forschungsstationen entfernt – ich habe einzelne Gedankeneinheiten immer versucht abzuhaken, bevor ich die Arbeit an der Doktorarbeit pausiert habe. Durch die Kanzlei erfuhr ich ganz allgemein auch immer eine tolle Unterstützung: Der Tausch von Arbeitstagen oder spontane Urlaubstage waren in aller Regel problemlos möglich, wenn ich doch mal etwas mehr Zeit zum Verfassen eines Themenabschnitts benötigte.
3. Promotion, Kanzleiarbeit und Privatleben – das klingt nach einer echten Herausforderung. Was rätst du anderen Nachwuchsjurist*innen in puncto Zeitmanagement, Stressbewältigung und Organisation? Hast du vielleicht ein oder zwei konkrete Tipps?
Ein gutes Zeitmanagement, der nachhaltig positive Umgang mit Stress und die Etablierung einer effizienten Organisationsstruktur waren für mich in Zeiten hoher Auslastung stets essenziell. Die Tätigkeit in der Großkanzlei und das Verfassen einer Doktorarbeit erforderten natürlich eine gewisse Disziplin. Mir hat es an der Stelle sehr geholfen, von vornherein einen (strikten) Zeitplan für einzelne Kapitel sowie die gesamte Doktorarbeit zu erarbeiten, den ich auch stets einzuhalten beachtete.
Ich habe mir zumeist das Wochen- und Tagesziel gesetzt, die Doktorarbeit um eine bestimmte Anzahl an Seiten fortzuschreiben. Um diese Ziele herum habe ich dann meinen Tag geplant. Wenn ich etwa vormittags einen Termin wahrnehmen musste und mittags noch verabredet war, verschob ich die Schreibtischarbeit auf den Nachmittag und auch Abend. Um bereits einige Wochenziele meiner Doktorarbeit vorzubereiten und mehr Zeit für Partnerschaft, Familie, Freunde und Sport am Wochenende zu finden, klappte ich den Laptop öfters aber auch nach einem Arbeitstag bei Linklaters nochmals auf.
Ich kann nur betonen, dass mir die anhaltende Freude am Forschungsgebiet und an der Freiheit, eine eigene wissenschaftliche Arbeit zu gestalten, auch in arbeitsintensiveren Phasen immer Auftrieb gab! Insofern kann ich nur dazu raten, ein Promotionsthema zu erwählen, das Freude bereitet und sich mit den eigenen Interessen deckt.
4. Seit April dieses Jahres bist du nun Rechtsreferendar und arbeitest weiterhin als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Linklaters. Wie sieht aktuell deine typische Arbeitswoche aus? Und wie schaffst du es, die verschiedenen Aufgaben zu koordinieren?
Meine Woche ist derzeit ziemlich abwechslungsreich! Ich befinde mich im nunmehr vierten Monat meiner Zivilstation, besuche einmal in der Woche die stationsbegleitende Arbeitsgemeinschaft am Landgericht und nehme an Sitzungen meiner Einzelausbilderin am Amtsgericht Neuss teil. Meine Einzelausbilderin terminiert ihre Sitzungen immer recht früh, sodass ich im Anschluss zum Sport fahren, Erledigungen tätigen und mich noch an den Schreibtisch setzen kann. Die mir übertragenen Sitzungsakten versuche ich innerhalb von zwei Tagen zu bearbeiten, lese mir etwa an einem Nachmittag (meist nach der AG am Donnerstag) die Akte durch, verfasse das Rubrum, den Tenor sowie den Tatbestand. Am darauffolgenden Morgen beginne ich dann mit den Entscheidungsgründen. Auf dem Wege bleibt die Akte gedanklich „frisch“ und ich muss mich nicht erst wieder in die Inhalte neu hineindenken.
Zeit, die AG-Inhalte nachzuarbeiten, finde ich zumeist am Montag gegen Mittag nach der Einzelausbildung sowie am Dienstag. Ich verfasse mein eigenes Skript mit Erklärungen und Formulierungshilfen, bündle also Wissen, auf das ich jederzeit zurückgreifen kann. Mittwochs arbeite ich stets bei Linklaters, weshalb ich versuche, diesen Tag „lernfrei“ zu halten. Auch die Wochenenden verbringe ich derzeit nur selten am Laptop, insbesondere um gemeinsame Zeit mit meiner Partnerin zu gestalten, die in der Schweiz lebt und arbeitet. Zugfahrten nutze ich in der Regel produktiv, indem ich Veröffentlichungen vorbereite: Über die Dissertation hinaus bin ich nämlich weiterhin sehr an der familienrechtlichen Forschung interessiert.
Auch wenn der Terminplaner manchmal voll ist, lassen sich alle Ziele regelmäßig gut erreichen. Ausgleich finde ich nach arbeitsintensiven Tagen meist am späteren Abend bei einer Jogging-Runde oder auf der Couch bei einer Netflix-Serie.
5. Was gefällt dir an deiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und angehender Jurist besonders gut? Gibt es bestimmte Aspekte, die dir besonders Spaß machen oder dich motivieren?
Es ist toll, das machen zu dürfen, was mir Freude bereitet und mich erfüllt. Natürlich ist die juristische Ausbildung an manchen Stellen fordernd. Sie zu durchlaufen lohnt sich aber nicht nur aufgrund der zahlreichen interessanten Berufsaussichten! Vielmehr erweitert Jura auch ungemein die eigene Perspektive auf die Welt und den Menschen. Mir gefällt zudem der Prozess des fortwährenden Lernens sehr gut: Ausgehend von einer Kenntnis des materiellen Rechts ist es schön, nunmehr die prozessual-praktische Komponente des Rechts zu verstehen und mir insofern neue Zusammenhänge zu erschließen.
Neben dem Referendariat schätze ich besonders die abwechslungsreiche Arbeit in der Großkanzlei und die Mitarbeit an spannenden Mandaten. Die persönliche Förderung und das Miteinander im Linklaters-Employment-Team sind klasse – ebenso die zahlreichen Angebote der Kanzlei für Referendare. Ich habe zudem das Gefühl, dass sich die Mitarbeit bei Linklaters und das Rechtsreferendariat als Phase des Lernens und Weiterbildens wunderbar ergänzen.
6. Hast du schon konkrete Vorstellungen oder Wünsche für deinen Berufseinstieg? Wo siehst du dich nach dem Referendariat?
Ich bin tatsächlich recht vielseitig interessiert und begeisterungsfähig. Es gibt allerdings zwei Berufsziele, die ich seit längerer Zeit verfolge. Dazu zählt zum einen die Tätigkeit als Anwalt in der Großkanzlei. Die – erwähnte – Mitarbeit an komplexen Mandaten, die Entwicklung von Lösungen zu juristischen Fragestellungen und das hohe Maß an Perfektion sowie Internationalität beeindrucken mich sehr! Allerdings fasziniert mich auch die Wissenschaft. Es erfüllt mich, in Bereichen zu forschen, die gesellschaftlich von hoher Bedeutung sind, wie etwa das Familienrecht. Auch bereitet mir die Lehre viel Freude, wie ich bereits als AG-Leiter an der Universität und im Rahmen von Vorlesungsvertretungen erleben durfte. Im Idealfalle lassen sich künftig das Interesse an der Forschung und Lehre sowie die Kanzleitätigkeit miteinander vereinen.
7. Abschließend: Wenn du auf die letzten Jahre zurückblickst – gibt es etwas, das du deinem „früheren Ich“ zu Beginn der Promotion oder des Studiums mit auf den Weg geben würdest?
Ich würde meinem „Ich“ zu Beginn und zur Mitte des Studiums zu noch mehr Gelassenheit raten. Erhöhter Druck oder zu hohe (Selbst-)Erwartungen schmälern meist die eigene Leistungsfähigkeit. Letztlich ist und bleibt vieles auf dem Weg der juristischen Ausbildung doch eine „Kopffrage“. Das gilt gerade auch für Prüfungen: Prüfungssituationen erfordern Respekt – ihnen sollte aber nicht mit Sorge begegnet werden. Im ersten Examen hat es etwa stets geholfen, mir vor Augen zu führen, dass es sich letztlich „nur“ um meinen Freiversuch handelt. Zudem habe ich in der intensiven Lernphase in den Monaten vor dem Examen viel Wert auf genügend Freizeit und soziale Interaktion gelegt. Das stellte sich in Ansehung des anstrengenden „Klausurenmarathons“ als gute Entscheidung heraus.
Lieber Ole, vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke! Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg für dein Referendariat und deinen weiteren Weg.
Ich danke herzlich!