Veröffentlicht am 12.11.2018
Lucas Danco in Florenz

Oft werden mit Italien horrende Erwartungen verknüpft, was das „Dolce Vita“ angeht. Es gibt einige Voraussetzungen die man mitbringen sollte, um dieses wirklich genießen zu können. Das sind meiner Meinung nach: Geduld, Toleranz, Flexibilität, ein hohes Maß an Offenheit und vor allem ein gewisses Gottvertrauen. Denn die deutsche Ordnung wird man in Italien kaum finden. Alles läuft meist etwas anders und chaotischer als vorher erwartet. Dafür eröffnen sich aber oft auch dort Wege und Möglichkeiten, wo eigentlich keine sind und wo in Deutschland niemals welche wären.
Sprachkenntnisse vorab
Vor meiner Abreise habe ich ein Semester einen Kurs am zentralen Sprachlabor der Universität Heidelberg belegt. Meine Sprachfertigkeiten waren dementsprechend gering. Ich hatte aber die Absicht, in Florenz ebenfalls einen Sprachkurs zu besuchen und war sicher, mich schon irgendwie zurecht zu finden.
EILC Sprachkurs in Siena
Vom EILC Sprachkurs habe ich durch eine Email von meinem Erasmus-Koordinator erfahren. Ich selbst habe nicht teilgenommen, berichte aber gerne von den Erfahrungen eines Freundes. Er war im August zwei Wochen in Siena. Es soll fantastisch gewesen sein. Der Sprachkurs war super, Siena ist ein Traum und im August konnte er Zeuge des Palio werden. Dies ist ein Pferderennen innerhalb der Stadt, in dem die verschiedenen Viertel gegeneinander antreten. Es soll spektakulär sein und endet, wie könnte es anders sein, mit einem gigantischen Essen und dem ein oder anderen Schluck Traubensaft.
Sprachkurs an der Uni
Direkt ab Beginn des Semesters in Florenz habe ich ausserdem einen Sprachkurs für Erasmus-Studenten am Sprachenzentrum der Uni Florenz belegt. Das Anmeldeformular kam mit den Anmeldeunterlagen der Uni per Email. Es findet in den ersten Wochen des Semesters ein Einstufungstest statt. Ein wenig Vorbereitung lohnt. Es gab Tests, bei denen die Leute ein Gespräch mit einem Lehrer hatten. Ich wurde an einem Computer mit einem Lückentext geprüft. Warum der eine so und der andere so, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Die Sprachkurse für das eingestufte Niveau gibt es an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten. Der erste ist kostenlos. Ich hatte in der Nähe von San Marco zweimal in der Woche drei Stunden im Centro Linguistico di ateno. Der Kurs wurde von einer Muttersprachlerin gehalten, die mit viel Witz und Herzlichkeit unterrichtet hat. Man kann danach einen weiteren Kurs machen. Dieser kostet dann allerdings 80.- EUR.
Wohnungssuche
In die Wohnungssuche habe ich viel Zeit investiert. Sehr zu empfehlen ist easystanza.it. Eine Seite, auf der ausschließlich Zimmer und Wohnung für Studenten angeboten werden. Wichtig ist, sich vor der Suche Kriterien über einige Dinge klar zu werden. Viele Erasmus-Studenten hatten den Anspruch, in eine WG mit Italienern zu ziehen. Viele derjenigen, die tatsächlich mit Italienern zusammen gewohnt haben, haben davon berichtet, dass gewisse Regeln etwas „freier“ gehandhabt wurden. Putzpläne werden nicht eingehalten, abends wird lange gefeiert, die sanitären Verhältnisse sind manchmal nicht auf höchstem Niveau. Wer die Sprache schnell lernen will, das Italien-Feeling jederzeit spüren möchte und sich auch ohne „deutsche Pünktlichkeit“ (eine auch bei Italienern bekannte Redewendung), ist hier genau richtig. Wer unbedingte Ordentlichkeit, eine zuverlässige Nachtruhe sucht, sollte vorher seine Mitbewohner drauf ansprechen, um deren Einstellung zu erfahren.
Außerdem ist in Italien eine „camera doppia“ durchaus üblich. Hier bewohnt man zu zweit ein Zimmer.
Es gibt ein Studentenwohnheim „Evergreen“ in der Nähe des Novoli-Campus (Jura, Politikwissenschaften, etc). Dieser liegt außerhalb der Stadt, mit dem Bus ca. 15 Minuten. Wer in der Nähe des Domes wohnen möchte, muss sich auf ein höheres Preisniveau als in Deutschland einstellen.
Immatrikulation
Für die Immatrikulation sollte man viel Zeit einplanen. Unbedingt alle Dokumente, die irgendwas mit Erasmus zu tun haben, mitnehmen und sich nicht wundern, wenn es länger dauert, oder man noch ein paar Mal hinmuss. Dass man das learning agreement ändert, ist keine Ausnahme, sondern Regel. Also in Deutschland sich einen Überblick verschaffen, etwas eintragen und dann in Florenz die Erwartung mit der Wirklichkeit abgleichen und entsprechend korrigieren.
Auf den Studentenausweis, das sogenannte Libretto, habe ich nach Antragstellung zwei Wochen gewartet.
Universität
Das Anforderungsniveau hängt davon ab, ob man sich für Vorlesungen auf Englisch oder auf Italienisch entscheidet. Wer kein ausreichendes Italienisch (B1) spricht, kann Kurse auf Englisch besuchen. Hier ist das Niveau unter dem deutschen, da die meisten Dozenten sehr schlecht Englisch sprechen und daher meist ihr Skript ablesen. Eine Übung mit Fallbezug, etc., wie man sie eventuell aus deutschen Vorlesungen kennt, gibt es nicht.
Kurse im Wintersemester
Die juristische Fakultät der Uni Florenz bot im Wintersemester mehrere Kurse in englischer Sprache an. Introduction to Italian Legal Culture, Comparative Legal Systems, International Law, European Social Law.
Introduction to Italian Legal Culture
Introduction to Italian Legal Culture richtet sich ausschließlich an Erasmusstudierende. Unterschiedliche Dozenten hielten die Vorlesung, deren Ziel darin bestand, einen Überblick über das italienische Rechtsystem zu vermitteln. Zu der Vorlesung gibt es mittlerweile ein Buch, dass teilweise dazu befähigt, exakt mitzulesen, was der Dozent gerade vorliest. Am Ende des Kurses steht eine multiple choice-Klausur. Diese ist, auch wenn es oft gesagt wird, dass sie total leicht sei, nicht ohne weiteres zu bestehen. Man sollte das Buch komplett gelesen und einigermaßen verinnerlicht haben. Ein Verständnis ist nicht erforderlich, es genügt die reine Reproduktion. Der Besuch der Vorlesungen ist obligatorisch und wird überprüft. Man darf von 18 Sitzungen 6 Sitzungen fehlen.
Comparative Legal Systems
Die Vorlesung Comparative Legal Systems wird von Professor Barsotti und Professor Simoni, bzw. deren Assistenten gehalten.
Professor Barsotti ist in Massachusetts aufgewachsen, spricht demnach astreines Englisch und übernimmt naturgemäß den common law Part. Ihre Vorlesungen waren fantastisch, haben Zusammenhänge klargemacht und waren wirklich bereichernd!
Professor Simoni spricht leider sehr gebrochenes Englisch, das von vielen „ähs“ unterbrochen ist, sodass es teilweise schwer fällt, ihm zu folgen. Er ist aber sehr bemüht, das civil law und seine Entwicklung zu vermitteln.
Der Kurs mündet in einer mündlichen Prüfung, die ebenfalls nicht unterschätzt werden sollte. Es sind tatsächlich zahlreiche (!) Kommilitonnen durchgefallen! Zur Vorbereitung gibt es ein Buch, das bei einem nahegelegenen Copy-Shop hinterlegt ist und dort kopiert werden kann (eine urherberrechtlich sehr spannende Praxis).
Die Teilnahme an den Vorlesungen ist ebenfalls obligatorisch und wird überprüft.
Administratives
Im Unterschied zu deutschen Vorlesungen war eine „Einschreibung“ in den Kurs nötig. Diese fand im Vorfeld statt, konnte aber auch noch in der ersten Sitzung nachgeholt werden. oder wurde per E-Mail an den Dozenten bestätigt.
Bibliothek
Die Universitätsibliothek befindet sich direkt auf dem Campus in Novoli. Dort befinden sich Computerarbeitsplätze mit Internet und Drucker, die aber zwischen der Vorlesungen in der Mittagszeit sehr beliebt sind. Die Arbeitsatmosphäre ist gut, die Tische sind geräumig. Man muss jedoch, nachdem man sein Libretto erhalten hat, eine Zugangskarte beantragen. Zwischen Antrag und Ausstellung lagen bei mir vier Wochen.
Da ich im Zentrum gewohnt habe, nutzte ich die „oblate“-Bibliothek. Dort gibt es keine Bücher, sondern stellt lediglich Räume und Tische zur Verfügung. Die Arbeitsatmosphäre ist weit weniger konzentriert, es gibt keine Kampen am Platz und die Bib ist meist recht voll. Ausgeglichen wird es durch eine Terrasse im obersten Stock und ein Café, von dem man aus auf den Dom blickt.
Kulturelles
Florenz ist, wie bereits angesprochen, ein Sammelsurium an Kulturschätzen. Angefangen bei Michelangelos David in der Galeria della academia, den Uffizien, dem Palazzo Vecchio, etc. Das ist alles im Reiseführer beschrieben und die meisten Sehenswürdigkeiten sind nicht zu übersehen. Ein Tipp: Die Erasmus-Organisation „ESN“ (European Students Network, Gruppe auf Facebook) stellt gegen 10.- EUR eine Mitgliedskarte aus. Auf dieser Mitgliedskarte wird freundlicherweise eingetragen, dass man Storia dell’arte studiert. Damit kommt man in viele Museen, etc. kostenlos rein. Man muss es überzeugend rüberbringen und die Damen und Herren an den Kassen darauf hinweisen, aber dann geht es. Bei mir hat es immer funktioniert. Meine Freundin hat mich zweimal besucht, hatte ihren Heidelberg Studentenausweis dabei, kam aber mit dem Hinweis auf „ihr“ Studienfach Kunstgeschichte ebenfalls kostenlos rein. Eine höchst verwerfliche Praxis, bei der jeder selbst entscheiden muss, ob er davon profitieren möchte..
Ein weiterer Tipp: Unbedingt mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt laufen und den „Florentine“ (ein Stadtmagazin) lesen. Oft gibt es tolle Konzerte in alten Konzertsälen. Vorallem das orchestra di camera fiorentina spielt mit italienischem Feuer und toskanischer Leidenschaft!
Essen und Trinken
In Italien fällt, sobald man sich setzt, eine coperta an. Diese ist von Restaurant zu Restaurant unterschiedlich, beläuft sich aber meistens auf 2-4 EUR pro Nase. Daher den Kaffee immer an der Bar trinken!
Alles, was touristisch aussieht, ist teuer und schlecht. Eine fast immer anwendbare Regel: Restaurants, die Bilder von ihrem Essen ausstellen, sind eine Katastrophe.
Tipps
Um in der Flut an touristischen Auftau-Lasagnen und lätschigen Pizzas nicht den Glauben an die italienische Küche zu verlieren, hier ein paar Leuchttürme:
Beste Pizza der Stadt gibt es bei Gusta Pizza bei Piazza Santo Spirito. Pizza zum mitnehmen und auf die Stufen vor Santo Spirito setzen.
Natürlich muss man als gestandener Fiorentiner ein Bistecca alla Fiorentina verkostet haben: Bestes Stück gibt es in einer schmalen Gasse am Palazzo Vecchi in der Osteria die Baroncelli. 40.-/kg, auf heißem Salzstein serviert, dazu einen Vino alla casa und der Abend nimmt seinen Lauf.
Bestes gelato entweder direkt am Dom bei Edoardo. Selbstgemachte Waffeln, die die Gegend um den Dom mit wunderbarem Duft erfüllt. Ansonsten Santa Trinita an der Ponte Trinita. Auch hier gilt: Kein Eis, das in knallbunten Bergen mit Tonnen von Obst und Gemüse obenauf ausgestellt wird. Wo das Eis in Edelstahlbottichen, von außen kaum sichtbar, herausgeschöpft wird, dort findet der Gelato-Liebhaber, was ihn glücklich macht.
Wer ein Restaurant für ein Essen mit seinen Eltern/Freundin/Dame, die Freundin werden soll, sucht, der findet ein solches im Café Pitti. Getrüffelte Speisen sind die Spezialität dieses sehr gemütlichen Hauses mit gutem Service und wunderbaren Weinen.
Eine wunderbare, singulär in Italien auftretende Institution ist der „aperitivo“. Man kauft ein Getränk (auch einen Cocktail, oder, wie für Italiener üblich ein „Sprizz“ (Aperol Spritz) und kriegt ein Buffet dazu). Die Aperitivi unterscheiden sich im Kostenpunkt, Qualität des Essens, Auswahl und Größe der Teller. Das beste Verhältnis aus Tellergröße, Auswahl, Qualität und Preis hat „Kitsch“, einmal am Stadtrand und einmal in der nähe von San Marco. 10.-EUR mit Sprizz und reichlich Pizza, Pasta und Bruschetta.
Verkehrsmittel
Busse decken Florenz recht gut ab. Ein Ticket kann man beim Fahrer erwerben. Um die Hälfte günstiger ist es jedoch in einem der zahlreichen Tabakläden. Eine Einzelkarte kostet 1,20 EUR, eine 10er-Karte 10 EUR. Schwarzfahren ist nicht ratsam, es wird verhältnismäßig häufig kontrolliert. Schwarzfahren kostet 240.- EUR.
Ausflüge in die Umgebung
Wer in Florenz alles gesehen hat, sollte unbedingt die Umgebung erkunden. Entweder, man organisiert sich selbst einen Mietwagen/Bustransfer, etc., oder man reist mit einer Erasmus-Organisation (vorherrschend hier sind ISF und ESN). Ich habe die meisten Trips mit ISF unternommen. Der Vorteil ist, dass der Bus organisiert ist, man eine Gruppe hat, mit der man die Stadt erkundet und andere Erasmus-Studenten kennen lernt. Der Nachteil, dass man an die Gruppe, die vorgegebenen Zeiten und die Laufroute durch die Stadt gebunden ist. Der „Guide“, im Fall von ISF der Vorsitzende, bereitet sich im Bus mit seinem iPad vor, um dann einen ca. fünfminütigen „Vortrag“ zu halten.
Empfehlenswert sind in jedem Fall Montepulciano und Montalcino (einen Brunello vor einem Weingut zu genießen und auf den Sonnenuntergang anzustoßen, der sich langsam ins Tal senkt, ist eine Reise wert).
Ebenfalls sollten die anderen Städtchen erkundet werden: San Gimigiano, Volterra, Lucca. Wer unbedingt ein Bild mit dem schiefen Turm von Pisa braucht, fährt dort hin, ansonsten gibt es dort nicht viel zu sehen. Unbedingt gesehen haben sollte man Siena und Bologna. Wer ein bisschen weiter fährt, genießt eine traumhafte Zeit in Venedig. Sehr empfehlenswert für eine Unterkunft ist dort das Generatore Hostel.
Mobilfunkverträge
Die meisten meiner Kommilitonen hatten eine SIM-Karte des Anbieters „Wind“ gekauft. Für 8 Euro pro Monat sind eine bestimmte Anzahl von Freiminuten und Frei-SMS sowie Internet inbegriffen.
Tipp für Base-Nutzer: Für 3.-EUR im Monat kann man die EU-Reiseflat dazubuchen. Damit kann man seinen deutschen Vertrag ohne weitere Umstände innerhalb der EU nutzen. Achtung: Die Option hat eine Laufzeit von 24 Monaten, endet aber jedenfalls mit Ende des regulären Vertrages.
Situation nach der Rückkehr
Ob mit der Anerkennung alles klappt, kann ich jetzt noch nicht sagen. Bei einer Freundin, die letztes Jahr Erasmus in Florenz gemacht hat, hat es ein Jahr gedauert, bis ihre Fakultät ihr transcript aus Florenz erhalten hat. Ich bin optimistisch!
Resumée
Das ist Italien, das ich verließ. Noch stäuben die Wege, noch ist der Fremde geprellt, stell er sich, wie er auch will. Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens: Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht (J.W. Goethe)
Kein Vorurteil, sondern Alltag. Handwerker kommen nicht, Professoren verspäten sich um eine Stunde, Busse fahren nicht – Italien ist alles andere als deutsche Ordentlichkeit. Dessen muss man sich bewusst sein. Dolce vita eine Woche im Sommerurlaub ist wunderbar. Diese Einstellung ein halbes Jahr, in dem man einen Alltag hat, etwas anderes. Auf meine mündliche Prüfung habe ich sechs Stunden gewartet, auf den Handwerker, der meine Heizung repariert, zwei Wochen. Wer einmal Abstand von der deutschen Strenge, Kälte und Striktheit gewinnen will, ist hier goldrichtig. Man muss alles gelassen nehmen. Das ist es, was man in Italien sicherlich lernt. Gelassenheit. Und viel über Lebensfreude, Genuss und Hedonismus. Ich habe in dieser Zeit fünf Kilo zugenommen, obwohl ich jeden zweiten Tag eine Stunde joggen war.
Wer fachlich nach neuen Ufern sucht, ist in Florenz wohl auch nicht am richtigen Ort. Die Universität ist keine Top-Uni mit hohem Anspruch. Bei den Kursen kann man etwas mitnehmen, wenn man möchte. Man kann aber auch leicht einfach seine Pflichtkür absolvieren.
Ich habe die Toskana erlebt, wunderbar gegessen, meine Koffeinabhängigkeit gefestigt und auch ein bisschen italienisch gelernt. Und ich kann nun motiviert die letzte Etappe meines Studiums in Angriff nehmen.
A presto, Firenze!
Lucas Danco