Veröffentlicht am 26.11.2024
Jurastudium im Ausland: Als Freemoverin in Warschau

Ein Auslandssemester über Erasmus zu planen ist unter Studenten allseits bekannt. Doch was ist, wenn deine Wunschuniversität nicht mit deiner Heimatuniversität kooperiert? Ist damit der Traum des Auslandssemesters an diesem Ort ausgeträumt?
Auf diese Situation bin ich im Rahmen meiner Planung eines Auslandssemesters gestoßen. Da ich bilingual aufgewachsen bin, wollte ich ein Semester lang in Polen studieren. Natürlich war die Enttäuschung groß, als ich entdeckt habe, dass bei vielen anderen Fachbereichen meiner Uni deutsch-polnische Kooperationen bestehen, nur nicht bei der rechtswissenschaftlichen Fakultät. Nach einer Recherche, wie ich dennoch ein Auslandssemester absolvieren könnte, stieß ich auf die Möglichkeit des Freemovers. Freemover sind Studenten, die sich eigenständig an einer Universität zum zeitweisen Studieren bewerben. Dabei bestehen zwischen der Heimat- und Auslandsuniversität keine Kooperationsverträge wie bspw. Erasmus. Man muss aber beachten, dass nicht alle Universitäten Freemover bzw. Visiting Students annehmen. Dies war jedoch eher die Minderheit. Für ein Auslandssemester an der Uni Warschau musste ich mich über das International Relations Office der UW bewerben. Dort musste ich gängige Dokumente, wie meine bisherigen Studienleistungen einreichen, eine Kurswahl treffen und einen Sprachnachweis beifügen. Da ich auch einen Kurs in polnischer Sprache belegen wollte, musste ich neben einem englischsprachigen Nachweis entsprechend auch einen für Polnisch einreichen.
Nachdem die Zusage der Universität feststand, machte ich mich auf die Suche nach einer Wohnung. In Polen ist es sehr populär über Facebook zu kommunizierten, sodass ich in zahlreichen Wohnungsgruppen war. Dabei muss man jedoch aufpassen, um nicht auf die Betrugsmaschen auf dem Wohnungsmarkt reinzufallen. Es gibt auch die Möglichkeit, ein Studentenwohnheim der Uni zu beziehen. Ob man einem Wohnheim zugeteilt werden möchte, kann man im Rahmen der Bewerbung anklicken. Diese sind sehr attraktiv, da die Miete bei bis zu 200€ liegt. Letztendlich hatte ich mich aber für ein privates Wohnheim im beliebten Stadtteil Mokotów entschieden.
An der Universität habe ich die Kurse Criminal Investigation, Criminalistics and Forensic Studies und Forensic Science belegt. Diese Wahl traf ich auch vor dem Hintergrund meines Schwerpunktstudiums in Kriminalwissenschaften. Jeder Kurs wurde von ca. 15 Studenten besucht. Insgesamt sind die Kurse ganz anders als in Deutschland. Zuallererst gilt Anwesenheitspflicht. Es ist erlaubt zweimal zu fehlen, unabhängig von dem Grund. Überschreitet man diese Zahl, so muss man eine zusätzliche Leistung ablegen, wie bspw. einen Essay schreiben. Ferner wurde uns jedes Wochenende eine Mail mit Texten und Videos zugesendet, die wir für den Kurs vorbereiten mussten. Sollte man eines der Materialien nicht bearbeitet haben, wurde dies einer Abwesenheit gleichgestellt. Insgesamt waren die Kurse damit deutlich strenger als jene Kurse, die ich bisher in Deutschland belegt habe. Dies war jedoch nicht negativ. Vielmehr hat man auf diese Weise besonders viel aus dem Unterricht mitnehmen können. Was mir besonders an den Kursen gefallen hat, waren die praktischen Bestandteile. Diese kann man sich tatsächlich wie in Kriminalfilmen vorstellen: Wir haben Fingerabdrücke genommen, Schuhabdrücke auf dem Campus mittels Gipses identifiziert und einen – vom Professor inszenierten - Tatort gesichert. Für strafrechtlich interessierte Studenten waren diese Kurse perfekt! Obwohl die Vorlesungszeit bis Mitte Juni dauerte, waren die Leistungen bereits im Mai abzulegen. Dabei wurde in zwei Kursen ein Essay von 5 bis 8 Seiten gefordert und in einem Kurs eine Klausur zu den bearbeiteten Themen geschrieben. Die Endnote setzte sich aus der schriftlichen sowie mündlichen Leistung zusammen. Wie zu Schulzeiten wurde in der letzten Unterrichtsstunde jeder Student zum Professor hinausgebeten und die Endnote verkündet. Dabei ging der Professor auch detailliert auf die schriftlichen Leistungen ein und gab ein ausführliches Feedback. Die Ergebnisse wurden im Anschluss an die Vorlesungszeit in das Uniportal „usos“ eingetragen.
Neben den universitären Verpflichtungen besteht ein Auslandssemester auch aus Reisen und Freizeit. Warschau bietet als Hauptstadt zahlreiche Möglichkeiten. An warmen Sommertagen verbringt man den Tag am modernen Weichsel-Boulevard oder dem Lazienki Park. Zudem gibt es das Königsschloss, den Wilanów-Palast oder das Wahrzeichen Warschaus den Kulturpalast. Es gibt zahlreiche geschichtliche, aber auch moderne Museen, wie das Wodka-Museum oder das Wissenschaftszentrum „Kopernikus“. Auch für Fußballbegeisterte hat Warschau viel zu bieten, z.B. zwei professionelle Fußballmannschaften. Es gibt auch ein Restaurant „Nine’s“, das von dem hier geborenen Robert Lewandowski mitbegründet wurde. Die Freizeitplanung kann man auch gänzlich ESN (Erasmus Student Network) überlassen. Obwohl ich nicht als Erasmusstudentin in Warschau war, durfte ich dennoch an allen Veranstaltungen teilnehmen. Jeden Sonntag gab es eine WhatsApp-Nachricht mit allen Aktivitäten für die kommende Woche. Diese waren sowohl kostenlos als auch kostenpflichtig, wobei die Kosten bei max. 10€ lagen. Im Laufe des Semesters organisierte ESN auch Tages - sowie Wochenendausflüge in alle großen Städte Polens. Langeweile hatte man hier definitiv nicht!
Das Highlight des Sommersemesters waren die „Juwenalia“. Dies ist ein studentischer Brauch kurz vor den Abschlussprüfungen. Den gesamten Monat über werden zahlreiche kulturelle und sportliche Veranstaltungen von den Studenten in der Stadt organisiert. Zudem hat jede Hochschule ein „eigenes“ Wochenende im Mai, an welchem sie das Festival organsiert. Dabei finden die Festivals auch an verschiedenen Orten in Warschau statt. Das Highlight jedes Wochenendes sind die Auftritte von bekannten polnischen Künstlern. Sollte man ein Sommersemester in Polen verbringen, darf man dieses Festival auf keinen Fall verpassen!
Insgesamt ist Warschau eine facettenreiche Stadt, die Tradition und Moderne auf eine beeindruckende Weise verbindet. Ihre Geschichte, kulturelleren Schätze und wirtschaftliche Bedeutung machen sie zu einem faszinierenden Reiseziel in Europa. Nach diesem halbjährigen Aufenthalt kann ich mir sogar vorstellen, hier später zu leben!
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Erfahrungsbericht auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.